29 Dezember 2006

Zugfahren

Weil ich kurzfristig ein Transportmittel buchen musste, und wohl aus einem Gefühl der... Nostalgie heraus habe ich für die Heimreise zur Familie (immerhin Berlin -> München) eine Zugfahrt gebucht. Paradoxerweise war wieder mal die erste Klasse (mit Sparpreis 50) billiger als die zweite, darum richtete ich mich auf geruhsame Stunden mit Buch und leiser Musik aus dem Walkman (Jaja, der neue. Taugt nix, ich weiß.) in einem halb leeren Großraumabteil ein.
Aber: Weit gefehlt. Trubel allenthalben. Eine böse Vorahnung beschlich mich, als am Bahnsteig verkündet wurde, der demnächst einfahrende Zug sei nur die "Verstärkung" für den regulär fahrenden Zug einige Minuten später. Uh-oh. Bis der Zug tatsächlich den Bahnhof erreichte, war dieser eine einzige wogende Menschenmasse, allenthalben wurden Kofferberge aufgeschichtet, bekleckerten sich kleine Kinder mit mitgebrachten Snacks, rammten sich Menschen Rollköfferchen in die Hacken. Nach Ankunft des Zuges verwandelte sich das ganze Gewese übergangslos vom dahinwabernden Menschenbrei zu hunderten Interessengruppen die sich entweder alleine oder im Rudel bis zur ultima ratio um die vorhandenen Sitzplätze zu streiten beabsichtigten.
Das Ausbrechen ernsthafter Kriegshandlungen wurde noch begünstigt durch die Tatsache dass
1) "Die Wagen der ersten Klasse befinden sich heute im vorderen Zugteil in den Abschnitten A und B" — was zur Folge hatte dass alle erste-Klasse-Fahrer (mich eingeschlossen) noch einen unterhaltsamen Sprint aus den Abschnitten E und F vor sich hatten, die sich, wie es der Zufall so will, am Ende des Zuges befanden, und
2) die allzu kompetente Deutsche Bahn es wieder mal nicht auf die Reihe gekriegt hatte, die Sitzplatzreservierungen korrekt anzuzeigen, weshalb auf den kleinen Displays an jedem Platz die konfliktfördernde Nachricht "ggf. Reserviert" stand.
In der zweiten Klasse brannte die Luft. Friedfertige Familienväter kämpften, angestachelt von ihren Gattinen und den ungeduldig werdenen Kindern, wie dickliche, unbehaare Löwen nicht nur um Sitzplätze, nein auch die Ablageflächen über den Sitzen und zwischen den Sitzen waren hart umkämpft. Zwischendrin, stimmungsmäßig pendelnd zwischen verloren und rabiat eine Hundertschaft Rentner, die jeden freundlichen Blick als Aufforderung zum Schwere-Koffer-Verstauen fehlinterpretierten. In der ersten Klasse ist die Rentnerquote deutlich höher, dafür die Kinderquote geringer, soweit ganz ok.
Der Vorteil der quasi-elitären ersten Klasse ist zugleich auch Nachteil, kann man doch nicht die niedlichen, auf den Gängen sitzenden Rucksacktouristinnen auf einen der freien Plätze in der Umgebung einladen.
Doch dererlei Überlegungen waren mir ohnehin fremd, da auch die erste Klasse völlig überlaufen war. Obwohl der Zug aus Ostbahnhof kam und ich am Hauptbahnhof einstieg, überraschte mich der Herr der auf meinem Platz saß mit der Aussage "Ich wollte sowieso gerade gehen". Tat er dann auch. Also konnte ich, gegenüber eines Amerikanisch-Deutschen Ehepaars und neben einem rastaesken jungen Mann der sich in der ersten Klasse sichtlich unwohl fühlte Platz nehmen. Nachdem ich das Begrüßungs-Chitchat (da Englisch) hinter mich gebracht hatte und sich der bezopfte Sitznachbar ein Nicken abgerungen hatte stöpselte ich mir pflichtschuldigst die Ohren mit meinen Kopfhörern zu und begab mich zur Lektüre.
Augenblicke später schlug ein mit harten Gegenständen gefüllter Leinensack in meinem Genick ein, und die Besitzerin tauchte mit suchendem Blick über der Abteiltrennwand auf. Dazu muss man sagen: Um das weitläufige, transparente Raumgefühl (hier begebe ich mich absichtlich ins Raumausstatterdeutsch) nicht zu stören hat man in den ICE-Wägen der ersten Klasse die Abteiltrennung nur bis in ca. 170cm Höhe vorgenommen. Abgesehen vom Paravent-Gefühl das die funierten Stellwände vermitteln können, sind sie allerdings völlig ohne Sinn und Zweck, der da sein sollte, die Ruhezone und die Handyzone akustisch voneinander zu trennen.
Und eben solch eine Handyzonenbewohnerin schmiss mir ihren Krempel ins Kreuz. Sie angelte nach den Schlaufen und entfernte sich samt ihres Wurfgeschosses wieder aus meinem Blickfeld, ja sie brachte es sogar fertig – ganz erste Klasse – beleidigt dreinzuschauen, ganz so als sei es meine persönliche Schwerkraft gewesen, die ihren Beutel aus der Aufbewahrungsmulde befördert hatte. Dieses kleine Malheur tat meiner guten Laune keinen Abbruch, wohl aber die Tatsache, dass die funierte Pappwand zur Handyzone zwar blickdicht war – schalldicht war mir ob meiner Kopfhörer egal – aber mitnichten elektromagnetisch dicht. Und so streute jeder Handyanruf munter in meinen Walkman ein (wie eingangs erwähnt: Taugt halt nix), was mir das Musikhören gründlich verleidete. Denn egal welche Musik man mit dötdöt-dötdöt-dötdöt-dötdöt garniert, besser wird es nicht. Und dann, ohne Kopfhörer und seelentröstende Musik machte es mir auch etwas aus dass die mistige Trennwand nicht schalldicht war.
Als die erste Mordlust einsetzte machte ich mich, sozusagen als Ersatzbefriedigung, auf den Weg ins ICE-Bistro, um einige der dort feilgebotenen kulinarischen Kleinodien zu erstehen. Schnell wurde mir klar, dass die gedrechselte Konstruktion des vorherigen Satzes für einen Balkan-Hülsenfruchteintopf oder pappige Sandwiches völlig fehl am Platze war. Also eine unverschämt teure Apfelschorle, wobei auch dies geraume Zeit in Anspruch nahm, da die Bedienperson am Tresen nicht auf einer First-come-first-serve-Basis operierte, sondern die laut schreienden Personen zuerst, und dann die Geldscheinwedler drannahm. Da mir das auffällige Verhalten einer irgendwie gearteten Bedienperson gegenüber zutiefst zuwider ist, machte ich auch keinerlei Anstalten, mein Anliegen mit mehr Nachdruck zu versehen. Also nahm ich nach einer halben Stunde meine Apfelschorle in Empfang und machte mich auf den Rückweg zum Platz, den inzwischen ein älterer Herr in Beschlag genommen hatte (nicht ohne mein Buch und die anderen Utensilien freundlicherweise auf die Tischseite des schlafenden Amerikanisch-Deutschen Pärchens zu verfrachten). Nachdem ich den Hinterschinken verscheucht und wieder Platz genommen hatte, verlief der erste Teil meiner Reise (bis nach Fulda) ohne größere Komplikationen.

To be continued...

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26 Dezember 2006

Pool ist Schnullikram...

...wenn man mal Snooker ausprobiert hat. Ich meine, jeder halbwegs Billard-interessierte Mensch hat sich das schon mal auf Eurosport oder DSF angeschaut, und dachte sich – abgesehen von gewissen Regelunklarheiten – "Wie schwer kann das schon sein?".
Die Antwort habe ich letztens erfahren. Schwer. Sauschwer. Ein normaler Pooltisch hat ja so um die zwei Meter länge, der Snookertisch fühlt sich viermal so lang und breit an, ist aber de facto "nur" knapp vier Meter lang und etwas unter zwei Metern breit. Wenn man vor so einem Ungetüm steht, kommt es einem trotzdem vor als müsste er eine eigene Postleitzahl haben, so gigantisch ist er. Man meint, durch die Erdkrümmung das lange Ende des Tisches nicht mehr erkennen zu können.
Dann kommt der Mitspieler mit den Kugeln. Und schon stellt sich der nächste Schock ein: Die Dinger sind klein, viel kleiner als normale Billardkugeln, und es sind viele. Irgendwann erholt man sich von dem Schrecken, baut auf (der freundliche Mann vom Billardsalon hilft gerne wenn man mit den vielen bunten Kugeln nicht mehr weiter weiß), nimmt sich einen Queue und setzt zum Break an... und starrt entgeistert auf die Queuespitze. Denn die ist von der Zuspitzung her einem Zahnstocher nicht unähnlich. Man kreidet also das winzige Ding und versucht einen Break, der natürlich gründlich in die Binsen geht und snookert erstmal ordentlich. Soll heißen: Man plaziert die weiße Kugel so der andere keine der Kugeln halbwegs ordentlich anspielen kann, die er anspielen müsste. Dumm nur dass der Gegenspieler es irgendwie hinkriegt, einen korrekten Stoß zu schaffen, und einen noch viel besser snookert. Und dann geht das Hauen und Stechen los. Wenn man es dann tatsächlich so weit bringt, dass man einen gezielten Stoß in Richtung einer Tasche abgeben kann, dann verzweifelt man an der Tatsache, dann die Ecken der Taschen komplett abgerundet sind, und in neun von zehn Fällen die Kugel einfach irgendwohin abprallt, nur nicht ins Loch.
Das ganze ist eine unglaubliche Materialschlacht. Kurze Queues, lange Queues (Inklusive eines drei-Meter-Monstrums für die ganz unmöglichen Stöße, mittig ans lange Ende des Tisches zum Beispiel. Es zittert und wackelt dermaßen dass man Angst hat, an der Kugel vorbeizuhauen, und man hat keinerlei Vorstellung, in welcher Entfernung zueinander sich Queuespitze und Ball befinden), Schaubaufsätze, Hilfsqueues (auch Oma, Krücke oder Sticky-Icky genannt), ein eineinhalb Tonnen schwerer Tisch, fast zwei Dutzend Kugeln, ein Vollzeit-Platzwart, Elektrowägelchen um zum nächsten Stoß zu gelangen, usw. usf.
Nach mehr als einer Stunde hatten wir es dann geschafft. Alle roten Kugeln vom Tisch getilgt, nur noch die Bunten übrig, die versenkt werden wollen. Der Punktestand recht ausgeglichen, beide Spieler, wenn nicht siegesgewiss, zumindest optimistisch. Und dann geht das Foulen los und füllt das Punktekonto des Gegenspielers derartig schnell wie es in der vorhergehenden Stunde nie der Fall war. Plötzlich ist das Spiel vorbei und man fragt sich ob das nun so toll war. Und ehrlich: Es ist großartig. Im Grunde ist das ganze Unternehmen komplett bescheuert, mit unnötig kompliziertem Regelwerk und völlig falsch dimensioniertem Werkzeug, aber es macht Spaß. Wirklich. Also ich hatte über eine Stunde komplett sinnfreie Freude, und ich bin mehr als bereit für ein Rematch.

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