12 Oktober 2008

Der Aufstand der Rechtschaffenen?

Marcel Reich-Ranicki hat den Fernsehpreis abgelehnt (beziehungsweise, um der Wahrheit die Ehre zu geben, ein Bisschen hat er ihn schon angenommen), und Elke Heidenreich springt in die Bresche und probt auch den Aufstand. Gegen die Verblödung der Fernsehlandschaft. Und ich muss sagen:
Endlich. Das ist überfällig. Denn was heutzutage in der Flimmerkiste zu sehen ist, spottet jeder Beschreibung.

Da haben wir auf der einen Seite die öffentlich-rechtlichen, die in einem schmerzhaften und nicht sonderlich erfolgreichen Spagat zwischen Entertainment und Information gefangen sind.
So wechseln sich bemüht seriöse Nachrichtensendungen mit katastrophalem Daily-Soap und Klatschmagazinen ab, knörbeln talentfreie Betroffenheitskünstler die so eingefroren und falsch grinsen wie nicht ganz rehabilitierte Schlaganfallpatienten mit Thomas Gottschalks Busenwitzen um die Wette, da gleicht der Höhepunkt dem Tiefpunkt wie ein faules Ei dem anderen.

Da werden Galen und Preisverleihungen veranstaltet, auf denen Geschmacksbefreite Talentlosen Glasphallen überreichen und sich Laudatio und Fellatio sehr nahe kommen. Feierliches applaudieren, wenn dem Autor einer millionenteiligen Soap-Opera sein plattes Machwerk als spannende Unterhaltung deklariert wird, wenn der neueste Pro-Sieben-Fünfteiler über die Invasion der Killer-Kohlrabis den Preis des sedierten Publikums einheimsen kann. Durchaus verständlich dass einem da der Kragen platzt, wenn man nichts böses Ahnend eingeladen wird und sich stundenlang Plattitüden und das unerträgliche Gelabere von Thomas Gottschalk antun muss. Ich bin mir ziemlich sicher, sollte ich unerwarteterweise in den „Genuss“ einer solchen Veranstaltung kommen, bei mir würde der Fluchtinstinkt auch einsetzen. Und wahrscheinlich würde ich meiner Frustration auch noch Ausdruck verleihen.

Denn immer mehr ehemals interessante Formate fallen der Belanglosigkeit anheim. Oder schlimmer noch, man denke an Frontal (Jetzt Frontal24, damit der Banalitätsanspruch auch direkt im Titel auszumachen ist) - einstmals ein interessantes Magazin das ebenso sehr die die Querelen der beiden Moderatoren wie über gute Stories Relevanz erhielt, und das mittlerweile in platteste Bildzeitungs-Hetze abgerutscht ist, dessen Beiträge jeden der auch vernünftige Informationsquellen konsultiert das kalte Grausen über den Rücken jagt. Gut, um nicht komplett schwarz zu malen, es gibt auch noch Überbleibsel aus der Zeit als die Öffentlichen noch vernünftiges Programm gemacht haben. Monitor oder Report aus Mainz zum Beispiel. Aber die werden immer rarer, immer mehr Labertalk mit den dümmlich –handzahmen Kerner, Beckmann und Konsorten, die mit Leichtigkeit ihre Sendezeit mit Worthülsen füllen, und die mit investigativem Journalismus ungefähr so viel am Hut haben wie Heino mit guter Musik. Ab und an wird ein Eklat inszeniert, da wir Eva Hermann publikumswirksam des Studios verwiesen, obwohl jedem der nicht völlig verblödet ist aufgefallen sein dürfte dass Eva Hermann mitnichten als die Bedrohung der Demokratie, ja der Grundfesten Deutschlands qualifiziert sein dürfte als die JBK sie darstellen wollte.
Da reichen sich die Talkmaster gegenseitig von Show zu Show weiter und lügen sich einen in die Tasche, was sie doch für fantastische Unterhaltung und Information präsentieren, füllen abermals Sendezeit mit plattem Geseiere und freuen sich über ihre dicke Gage.

Das Ganze hat etwas von betreutem Wohnen, bedient euch doch, ach, bedient euch reichlich aus dem gut gefüllten Gebührentopf, die GEZ ist eine Pflichtabgabe, genauso wie Mengen an Gehirnzellen die beim tatsächlichen Konsum der bezahlten Berieselung spontan veröden. Dabei dudelt mehr als genug Werbung auch über die öffentlich-rechtlichen, wechselt sich Berichterstattung über Hunger in der Welt mit Werbung für Naschwerk das jedes Schulkind gefälltigst in seiner Lunch-Box vorzufinden hat das auf dem Pausenhof nicht ausgelacht werden will. Hungerbäuche in schneller Folge mit affektierten Werbeblagen die Konsumempfehlungen in den Äther posaunen. Aber hey, es gibt ein Werbeverbot ab 20 Uhr. So scheinheilig dass man kotzen möchte. Ab da wird eben nicht mehr geworben, es wird nur noch präsentiert. "Raderöder Pilsener präsentiert ihnen den banalen Film" Oh danke für den Hinweis, schnell zum Späti und das Bier des Abends geholt! Das war doch keine Werbung, das war ein Tip vom diensthabenden Synästhetiker. Denn schale Unterhaltung macht nur Spaß mit schalem Bier.
Und warum ab acht? Weil da die Kinder wohl im Bett sind und nur noch die werbemüden Alten vor der Kiste sitzen. Kann man ja kaum noch was verdienen.

Zugegeben, ein guter Teil der Konsumenten des Programms befindet sich intellektuell auf einem Niveau mit den Urhebern, aber das kann doch nicht der Sinn der Sache sein! Man erinnere sich: Bildungs- und Informationsanspruch. Und das setzt – zumindest für mich – voraus, dass die Leute die das Programm verursachen zumindest ein kleines Bisschen mehr auf dem Kasten haben als die, die es konsumieren. Gern würde ich mich da mit einschließen, aber mir geht sogar die Tagesschau zunehmend auf die Nerven. Wieso fangen die an, mit den Privaten zu konkurrieren, was Sensationsgier und reißerische Berichterstattung angeht? Bald ist es wieder so weit. Der erste Schnee wird fallen, und die obligatorischen Bilder von verbogenem Blech werden übertragen, und der Sprecher wird die unvermeidlichen Worte sagen: „Viele Autofahrer wurden vom plötzlichen Wintereinbruch überrascht“. Da glotzt der Deutsche gern, und schaudert wohlig im warmen Wohnzimmer, mit dem beruhigenden Wissen dass die noch nicht ganz abbezahlte E-Klasse sicher in der Garage steht.
Aber das ist doch was für RTL und Konsorten! Nicht für die ARD. Fahrt vorsichtig, Leute muss man doch auch anders rüberbringen können. Werden wir mittlerweile für so dämlich gehalten, dass wir ohne explizites Aufzeigen der Konsequenten nicht begreifen was passiert, wenn wir auf schneeglatter Fahrbahn mit den Sommerreifen ein Überholmanöver versuchen?

Das fatale ist, dass ARD und ZDF sich untereinander auf Programm und Gebühren einigen, und ein machtloser Rundfunkrat fühlt sich nicht verantwortlich, Gebührenerhöhungen, klar, warum nicht, braucht ihr denn noch mehr Kohle? Ach, für euer Internetportal auf dem man die Daily-Soaps 24/7 per Stream anschauen kann. Na dann. Macht absolut Sinn, dass Computer auch als Rundfunkgeräte gelten und gebührenpflichtig werden. Baut doch einen Lautsprecher in jede neu verkaufte Toilette ein und deklariert die auch als Rundfunkgeräte. Kerner wird auch nicht nerviger wenn er unterhalb meines Hinterns erklingt. Da kann man auf das Rundfunkangebot erstmalig nicht nur metaphorisch Scheißen.

Gibt’s denn Alternativen? Die Privaten wohl kaum. Die kann man, wie ich finde, mit einem einzigen Wort gut beschreiben: Geldgier. Ich kann verstehen dass man ohne staatliche Subvention aus Steuergeldern natürlich etwas anders wirtschaften muss, aber der Bildungsauftrag sollte genauso gelten. Klar, die Sender sind Privat und können tun und lassen was sie wollen, aber wie moralbefreit muss man sein, um nicht zu realisieren, dass es viele, viele Menschen gibt, für die die Privatsender die einzige Informationsquelle sind? Oder ist es Kalkül? Das wäre noch schlimmer, und ich bin fast geneigt zu glauben das ist auch der Fall.
Schwupps, noch schnell das aktuelle Album der in einer Castingshow auf dem selben Sender aus der Retorte gehobenen Band xy in den Nachrichten gefeatured, nach den Nachrichten kommt Werbung, dann präsentiert Konzern yz den Wetterbericht, und sofort danach kommt der Musiktipp in dem wieder das selbe Album der selben Band präsentiert wird. Danach kommt entweder eine gedanken- und sinnlos eingekaufte Doku eines amerikanischen Senders der die heroischen US-Streitkräfte glorifiziert oder eine US-Serie die durch die Synchronisation das letzte Quäntchen des ohnehin nur selten vorhandenen Charme verloren hat. Wenn sie denn eingekauft und synchronisiert wird, und nicht für wenig Geld fürchterlich routiniert und seelenlos mit unterdurchschnittlichen Schauspielern neu aufgelegt werden, und dessen Pointen und Gags so zündend sind, dass die Finger wie von alleine die Programmwechseltaste finden und betätigen.

Spätnachts laufen überall Call-in-Shows, in denen die ohnehin intellektuell nicht unbedingt reichlich beschenkten Anrufer sich mit Methoden die man kaum anders als Betrug nennen kann um ihre letzten Euros gebracht werden, ein mutwilliges Spiel mit den Hoffnungen der Anrufer.
Tagsüber kommen Gerichts- und Talkshows in denen sich die Kinder nach der Schule gleich ihre Portion Idiotie und Verkommenheit abholen können, nur um dann ins „Kinderprogramm“ zu wechseln, das auf besonders penetrante Weise Werbung und Inhalt miteinander verquickt, da läuft keine Trickfilmserie über die nicht mindestens ein Sammelkartenspiel oder Plastikspielzeug produziert wird, ohne das man als 12-Jähriger im Freundeskreis keinesfalls auftauchen sollte, wünscht man ihn am Folgetag noch vorzufinden.
Später dann werden Boulevardmagazine und Betroffenheits-Dokutainments gesendet, in denen sich der willige Konsument über die Welt der Stars und Sternchen und ihre bekloppten Eskapaden informieren kann und dem Personenkult huldigt. Oder eben der herzwärmende Gedanke dass man auf der sozialen Leiter doch noch nicht ganz auf der untersten Sprosse steht, denn die ist ja besetzt von Frauentauschern und ähnlichen Exhibitionisten, die den öffentlichen Seelenstrip mit einer beginnenden Fernsehkarriere verwechseln, nur um dann, wenn öffentlich hingerichtet, fallengelassen zu werden wie eine dickliche, dümmliche und nicht besonders heiße Kartoffel.

Samt und sonders Harz-IV-Programm, nichts was aufwändig oder teuer produziert werden muss, nein, es werden selbsternannte Supermütter, Stars, Ausbildungssuchende, Schulversager und Gerichtsvollzieher in die Welt unserer Wohnzimmer gesendet, die Gerichtsurteile gleich mitgeliefert, man ist sich selbst gerade gut genug, Shows zu produzieren, die die Menschenwürde verletzen.
Gut, man mag mutmaßen, jedes Volk bekommt die Fernsehsender die es verdient, aber es bleibt doch die Frage nach der Henne und dem Ei: Bekommen wir das intelligenz- und geistbefreite Fernsehen weil die Mehrzahl der Zuseher sich nicht entblöden, diesem öffentlichen Ausverkauf von Menschen und Gefühlen mit Interesse verfolgen, oder ist es mehr ein schleichender Prozess in dem die Konsumenten mürbe und matschbirnig gemacht werden, damit man immer billiger, immer platter Fernsehen produzieren kann?
Und ein Ausweg aus der Situation? Zivilcourage vielleicht. Einfach die Scheiße nicht mehr anschauen. Für mich ohnehin schon die Konsequenz. Informieren kann man sich im Internet mindestens genauso gut, man hat mehr Auswahl, mehr Spektrum an Meinung, aber das setzt einen Eigenantrieb, sich selber zu informieren voraus, den die Mehrheit nicht hat. Sich berieseln lassen, möglichst ohne Mühe den Kopf auf und die vorgefertigten, tendenziösen Berichterstattungen in sich absorbieren, sich abkapseln von den relevanten Dingen die passieren, absorbiert in einer glitzernden Scheinwelt aus Gameshows, Reality-Soaps, schlechten Serien und dem ganzen Gewese das Tag für Tag über die willigen Rezipienten hereinbricht, um sie zu sedieren, willenlos zu machen und gleichzuschalten.

Es gibt scheinbar nur eine Alternative: Glotze aus, das Kabel aus der Wand, vielleicht aushölen die Kiste und Goldfische drin züchten. Spannender ist das Programm allemal.

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